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 Sigrun Marquald
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Wandel der Geburtshilfe im Verlauf meines Hebammenlebens

 

In der Ausbildung, die 1977 übrigens nur 2 Jahre gedauert hat, wurde freiberufliche Hebammentätigkeit überhaupt nicht erwähnt. Es gab noch Wochenbettpflegerinnen, deren Ausbildung 2 Jahre später abgeschafft wurde.

 

An Hausgeburtshilfe war für viele Mediziner nicht mal zu denken. Geburten fanden im Kreissbett statt, liegend, auf dem Rücken, oft noch mit den Beinen in Beinhaltern, mit jeder Menge Lachgas und Schmerzmitteln, mit Zange, Glocke, Mitdrücken und massivem Mitpressen.

 

Es arbeiteten nur noch vereinzelt alte Hebammen freiberuflich in der Hausgeburtshilfe, evtl. mit etwas Beleggeburtsarbeit, allerdings oft mit monatlich sehr vielen Geburten. Das Klientel waren überwiegend Frauen und Familien aus den Schlichtvierteln. Vor der Geburt gab es oft nur 1-2 Kontaktbesuche und anschließend kaum über 14 Tage Wochenbettbegleitung. Insgesamt arbeiteten sie eher traditionell.

 

Bücher wie: "Geburt ohne Gewalt" oder "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück" von Jean Lidloff, "Praktische, bzw. spirituelle Hebammen" von Ina May Gaskin (einer Farmhebamme aus Tennessee (einem großen Modell alternativen Zusammenlebens)) öffneten andere als schulmedizinische Sichtweisen auf die Geburt.

Im Grunde begann in den 1980er Jahren die alternative Geburtshilfe mit viel Frauenpower aus der Frauenbewegung. Frauen wollten selbstbestimmte Geburten, intime Geburtsorte, keine Schmerzmittel, keine Betäubung, aufrechte Geburtshaltung, gezielte Atemanleitung, kein forciertes Pressen und vor allem keine Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt. Bonding und Stillen wurde groß geschrieben.

Das war auch Geburtshilfe, die ich mir für mich selber vorstellen konnte und als Hebamme mit Freude begleiten wollte.

 

Damals benötigten Hebammen noch eine Niederlassungserlaubnis. Ich musste beweisen, dass Bedarf bestand. Mit Unterschriftenlisten, die bezeugten, wie viele Frauen ihr Kind zuhause entbinden wollten, gesammelt auf Frauenfesten oder Demenstrationen und ich bekam Bestätigungen von den wenigen weiteren Hebammen, dass sie auf Dauer die anfallende Arbeit nicht leisten könnten. Das half beides und ich bekam die Niederlassungserlaubnis, heute ist die Arbeit ohne diese Erlaubnis möglich.

 

In Hannover gab es damals anthroposophische Ärztinnen und Ärzte, die für Geburten rufbereit waren und häusliche Geburtshilfe leisteten, so dass wir vor dem Weg ins Krankenhaus noch die Option hatten, dass ärztliche Hilfe ins Haus kam, was uns erlaubte, auch Beckenendlagen, Zwillings- oder auch sog. Risikogeburten (Zustand nach Sectio, alte Erstgebärende etc.) zuhause zur Geburt zu begleiten.

Abgebrochene Hausgeburten wurden in den Krankenhäusern wenig willkommen geheißen.

 

Allerdings begannen die Kliniken und Krankenhäuser, den Wandel bei den Frauen zu begreifen. Bunte Farben, Vorhänge, Bilder und Rooming-in breiteten sich aus. Die Kinder blieben tatsächlich, falls gewünscht, bei den Müttern. Was noch lange nicht bedeutete, dass auch ernsthaft alternative Geburtshilfe geleistet wurde. Stillfreundlichkeit wurde prämiert. Die Kassen begannen, Geburtsvorbereitung für Männer zu zahlen.

 

Hausgeburtshilfe wurde trotzdem von ärztlicher Seite weiterhin wenig anerkannt.

1989, nach der Wende, begannen die kleinen Errungenschaften wieder zu bröckeln. Aus dem Osten kamen ganz andere Frauen und auch andere Hebammen. Für diese Frauen war die Geburtshilfe im Westen sehr viel Frauen zugewandter und die Hebammen von dort hatten gelernt, sehr vorschriftsbezogen zu arbeiten.

Diese Neu-Vermischung nahm dem Auftrieb den Wind aus den Segeln. Bunte Gebärräume, Geburtshocker, Gebärwannen und Rooming-in blieben. Die Geburtshilfe wurde nicht weniger invasiv außer, dass Lachgas und Schmerzmittel durch die PDA abgelöst wurden.

 

Vorsorge wurde intensiviert. Waren die Frauen früher 6-7 mal während der Schwangerschaft beim Arzt, wurde es etwas doppelt so oft. Die Eintragspalten reichten manchmal gar nicht und es musste noch Papier angeklebt werden. Gab es in den 1970er Jahren so gut wie gar keine Ultraschalluntersuchungen, steigerten sich diese von 2-3 mal in der Schwangerschaft bis hin zum Ultraschall bei jeder Vorsorge.

Kaiserschnitte, Frühgeburten und pränatale Diagnostik nebst künstlicher Befruchtung nahmen zu.

 

Sicherheit wurde größer und größer geschrieben. Sorge vor dem "Verklagt werden" (wie in Amerika) wuchs. Qualitätsmanagement weitete die Dokumentationspflicht immer weiter aus. Computer müssen inzwischen häufiger gefüttert werden als Babys. Die Frauen, die genau wussten, wie sie entbinden wollten und nur eine Hebamme zu ihrer Hausgeburt wollten, verschwanden überwiegend. Die Frauen, die die Hebamme bereits für die Entscheidungsfindung für die Wahl ihres Geburtsortes brauchten, stiegen an.

 

Später gab es manchmal Gespräche, in denen ich mir vorkam, als wollte ich den Frauen Hausgeburtshilfe verkaufen (was überhaupt keine gute Voraussetzung für eine Hausgeburt gewesen wäre).

 

Die Versicherungsprämien für die Berufshaftpflicht stiegen. Das neue Klientel veranlasste mehr geburtshelfende Hebammen, Beleggeburten anzubieten (darunter auch ich). Geburtshäuser wuchsen - etwas übertrieben dargestellt - wie Pilze aus dem Boden.

 

Hebammen lernten mehr zusätzliches Handwerk: Homöopathie, Akupunktur, Fußreflexzonenarbeit, Osteopathie, Beckenbodenarbeit manchmal anders als in der Ausbildung, ganze Stillberaterinnenausbildungen etc.

 

Die Ausbildung zur Familienhebamme wurde kreiert. Hebammen neben der Familienhilfe für das erste Lebensjahr, zur Sicherstellung des Kindswohls, eine Aufgabe nahe der Sozialarbeit, mit dem Jugendamt als Auftraggeber, ohne einheitliche Regelung der Bezahlung. Ein ganz neues Feld, von der Geburtshilfe weit entfernt.

Weiter stiegen die Berufshaftpflichtversicherungsprämien, die Sorge vor dem "Verklagt werden" stieg ebenfalls und war durchaus berechtigt.

 

Dokumentation, Qualitätsmanagement, Hygienevorschriften, Zertifizierungsmaßnahmen der Geburtshäuser, das nahm mehr und mehr Raum ein.

In den Krankenhäusern stieg die Kaiserschnittrate.

 

Nach der Jahrtausendwende wurden Studiengänge eingerichtet - Hebammenarbeit auf dem Weg zur Akademisierung. Effidenzbasierte Studien, die durchaus Handlungsweisen richtig stellen können und z.B. dem Lauf der Natur bewiesenermaßen Recht geben können. Die jedoch genauso wenn es sie z.B. nicht gibt, Tradition und Erfahrung nicht mehr einfach so gelten lassen, sondern sie dann für nichtig erklären.

 

Hebammengeleitete Kreissäle wurden konzipiert. Die Hoffnung, dass die natürliche Geburt wieder selbstverständlich wird und das das Ziel ist, scheint nicht berechtigt.

 

Was auch immer das Ziel ist, die Sectioraten (Kaiserschnittraten) steigen. Frau fragt den Doktor, wie es ihr geht und wartet von Termin zu Termin auf die Bestätigung des Arztes, der sie hoffentlich mit "Alles in Ordnung!" entlässt. Es gibt viel Spannung, viel Druck auf beiden Seiten und am Ende steht oft ein Kaiserschnitt. 30%-50% sind keine unrealistischen Zahlen. Sicherheit ist groß geschrieben! Auch Frühgeburten und Extremfrühgeburten, vorzeitige Einleitungen (sicherheitshalber) haben meist einen Kaiserschnitt zur Folge und kommen vermehrt vor.

 

Hebammen verschwinden immer mehr an den Rand der Geburtshilfe, obwohl es in Deutschland eine Hinzuziehungspflicht gibt oder gerade deswegen? Der Arzt muß zu jeder regelrechten Geburt eine Hebamme hinzuziehen. Die Hebamme kann jede regelrechte Geburtshilfe alleine leisten. Sie muss bei jeder Regelwidrigkeit diese erkennen und dann sofort einen Arzt hinzuziehen, bzw. die Frau an diesen überweisen.

 

Die hohen Versicherungsprämien machen außerklinische Geburtshilfe nahezu unbezahlbar. Heißt: eine einzelne Hebamme kann es sich kaum mehr leisten, geburtshilflich zu arbeiten, selbst Geburtshäuser beginnen zu schliessen.

Ich will trotzdem weiter Geburtshilfe leisten.

Im Moment aushelfend in Geburtshäusern. Bis es eine gut praktizierbare Form gibt, arbeite ich um die Geburt drum herum. Osteopathisch, bindungsstützend und -fördernd, hinsichtlich der Bindung der Frau an sich selbst, der Mutter an das Kind, des Vaters an Mutter und Kind - und das bereits in der Schwangerschaft.

 

In der Hoffnung, dass Geburt unversehrt gelingt und Familie zusammenwächst.             

   

Seit Ende 2013 arbeite ich im 8 -Wochen Rhythmus im Geburtshaus Lüneburg und begleite gemeinsam mit dem Geburtshausteam sowohl Geburtshausgeburten als auch Hausgeburten und eben weiterhin um Geburt drumherum.                                                     Ausserklinische Geburtshilfe ist im Team leichter leistbar.                                                  

 

Das Qualitätsmanagement braucht  heute im grunde genommen eine Fachkraft für sich ,die dann natürlich auch qualitativ bezahlt werden muss.Haupsächlich reiht es sich natürlich zur originären Hebammenarbeit hinzu und schmälert die Freizeit der Hebammen.              Weiter ist auch der Stellenwert von Dokumentation gewachsen.Die Konzentration auf Frauen und Kinder wird zwischenzeitlich häufig zu den Dokumenten gelenkt.                                                                                                                                                    Es mir sind inzwischen keine Ärzte mehr  bekannt , die ausserklinische Geburtshilfe begleiten.So eine Begleitung ist ebenfalls sehr teuer zu versichern und die Angst vor dem Verklagt werden (wie in fast allen Bereichen in der westtlichen Welt) ist in allem Denken.      Der Ruf nach Sicherheit und Absicherung ist überall laut.